Selbstständigkeit oder die Flucht aus der Langzeitarbeitslosigkeit
25. November 2009 von werner
Selbstständigkeit oder die Flucht aus der Langzeitarbeitslosigkeit?
Das könnte der Titel eines Buches sein – Rubrik Horror, Krimi oder Melodram.
Einige kennen vielleicht das Gefühl lange in einer Firma beschäftigt gewesen zu sein und dann gekündigt zu werden – und das wenn man schon im etwas reiferen Alter ist – ich sag da mal ab 35 aufwärts.
Wie stehts da um die Chance kurzfristig einen neuen Job zu bekommen? Heute? So gut wie gar keine Chance – sieht man ja bei den Statistiken, die jedes mal in den Nachrichten erwähnt werden.
Und dann hat man die Idee sich selbstständig zu machen – nur nicht allzulange arbeitslos sein!
Und genau da beginnt meine Geschichte!
Auch ich war immer brav Arbeitnehmer, hatte mein monatliches fixes Gehalt, habe mein 13. und 14. Gehalt bekommen und wurde im Urlaub und Krankenstand ebenfalls nicht benachteiligt.
Sicher gab es den einen oder anderen Jobwechsel – der vorletzte war im Jahr 2000.
3,5 Jahre hats mich in dieser Firma wo ich das Beste Arbeitsklima seit meiner beruflichen Laufbahn hatte, gehalten. Dann wechselte ich zum direkten Konkurenten meiner "Exfirma" – man hat sich aber im Guten getrennt.
Warum der Wechsel? Es gab mehr Geld in die Tasche – nicht viel aber es war mehr.
9 Monate später die Ernüchterung – da mein Arbeitgeber von mir nicht das bekommen hatte was er wollte, hat er mich kurzerhand gefeuert.
Er hätte mir auch mehr bezahlen können pro Monat – ich hätte keinen einzigen Kunden meiner Exfirma abgeworben – damit hätte ich mir damals nur selber geschadet.
SO! Nun stehst Du auf der Strasse, zu Hause Frau und Kind.
Ich weiß ja nicht warum – aber ich hab kurzerhand beschlossen mich selbstständig zu machen und das zu machen was ich schon immer gerne getan habe – "Webseiten basteln".
Soweit so gut, wird einem – zumindest bei uns in Österreich – durch das Arbeitsmarktservice (AMS) mit dem Unternehmergründungsprogramm sehr geholfen.
Auch die Abwicklung mit der Gewerbeanmeldung geht schnell.
Und wenn dann auch noch die Ersten zahlenden Kunden vorhanden sind, ist es noch viel schöner.
Und dann hat man das Erste Jahr abgeschlossen und bekommt mal die Ersten Vorschreibungen vom Finanzamt und Sozialversicherungsanstalt – und schon wäre es gut gewesen zu sitzen.
Bemisst die Krankenkasse nach dem 3. letzten Jahr – im Ersten Arbeitsjahr ging das ja noch aber im 2. Arbeitsjahr war der Abgrund schon mal sehr tief.
Im 2. Jahr wurde ich nämlich nach meinen höchsten Gehalt was ich bei der Konkurenzfirma – siehe oben – bezogen habe bemessen und die Nachzahlung hat so ziehmlich alles an erwartbaren übertroffen.
Das Finanzamt mit seinen Steuern nicht zu vergessen.
Also noch mehr zurückzahlen als im Vorjahr.
Und genau im 3. Jahr der Selbstständigkeit sind die Geschäfte rückläufig gewesen und das Sommerloch so heftig wie noch nie ausgefallen – und da steht man dann mit den monatlichen Rückzahlungen und hätte ja auch noch andere Rechnungen zu begleichen – das war ein grausiges Geschäftsjahr.
Es kommt aber noch toller!
Wie jedes Jahr, habe ich auch in dem laufenden Jahr meiner Steuerberaterin alle Unterlagen gegeben. Sagt die mir, dass ich mit einer Vorrauszahlung beim Finanzamt rechnen muß für die zu erwartende Umsatzsteuer die ich einnehme.
Öhm – ich hatte mich eigentlich gefreut, dass ich für das vorangegangene Jahr gerade einmal knapp 10.000 zurückzahlen mußte – setzte sich aus eingenommener Mehrwertsteuer und Einkommensteuer zusammen.
Und dann kommt eine Vorauszahlung von 4.000 Euronen – ich hab geglaubt mich bürstet ein Elch. 14.000 aufgeteilt in 12 niedlichen Monatsraten + zu erwartender Rückzahlung bei der Sozialversicherung.
Jetzt wird sich der eine oder andere denken – na da pfeiff ich auf die Selbstständigkeit – naja denke ich zeitweise auch – nur mag ich in keine Privatwirtschaft mehr gehen.
Ich hab zwar kein Urlaubs und Weihnachtsgeld, bekomme nichts wenn ich auf Urlaub oder krank bin – genieße aber Freiheiten die ich so nicht hätte.
Und es geht! Man kommt bei diesen Summen die man zurückzahlen muß dennoch über die Runden – ist manchesmal hart und man spart auf allen Ecken und Enden – aber man kommt durch.
Und ich weiß, dass mir diese Zahlungen nichts ausgemacht haben. Wenn Dir dann aber ein potenzieller Kunde von dem Du monatlich einen 4stelligen Fixbetrag bekommen hast aufgrund der Wirtschaftskrise flöten geht, wirds ein bisserl eng und Du muß die offenen Aussenstände jedesmal nach Prio neu schlichten und abbezahlen.
Heute, im 5. Jahr meiner Selbstständigkeit stehe ich über den Dingen und denke mir nichts mehr dabei – zuviele Gedanken wie es weitergehen soll, verderben die Kreativität und lassen Fehler machen.
Heute mache ich in der Nacht noch einen Nebejob für je 2h der auch wieder etwas Geld einbringt und somit die eine oder andere Rechnung begleichen lässt.
Es gibt immer wieder Kleinaufträge von Kunden – hier sind aber die Responszeiten immer verherend lange, bis alles von den Verantwortlichen abgesegnet ist.
Was natürlich zu dem ganzen dazukommt, sind offene Rechnungen einzufordern per Mahnwesen und ggf. per Inkassowesen.
Aber jetzt rechne man sich mal die Zeitspanne aus:
Ab Rechnungslegung 14 Tage Zahlfrist.
Ab Mahnung 5 Tage Zahlfrist
Inkassobüro beauftragen und bis zur Geldeintreibung warten 2-3 Wochen
Aber es macht mir immer noch Spass und ich werde auch diesen Wiedrigkeiten trotzen – wie ich so manch anderen Sachen auch schon getrotzt habe.
Andere Arbeiten haben Ihr fixes Gehalt, Urlaubs und Weihnachtsgeld und brauchen sich (fast) keine Sorgen machen wenn man im Urlaub oder krank ist.
Andere Arbeiten seit Jahren in ein und der selben Firma, die geht in Ausgleich und der Mitarbeiter steht auf der Stasse und bekommt vielleicht keinen Job mehr weil über 40.
Wir Selbstständigen können auch in Konkurs gehen und keinen Job mehr bekommen – wir haben aber eine Lebenserfahrung gemacht, die der normale Arbeitnehmer nie bekommen wird.
Danke für diese Tolle Beschreibung Deiner Erfahrung – oft suchte ich nach Erfahrungen von leidgeprüften und nach Informationen die dir niemand Ehrlich auf die Nase legt.
Und Trotzdem fragt man sich immer wieder – wie soll sich das ausgehen
LG
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Wie sich das ausgeht? Frag mich nicht – meine Frau ist nur noch am priorisieren der Rechnungen. Ich werde heuer einen Versuch starten und von der Fernwärme mit der wir heizen auf Öl umsteigen. Wenn ich sparsam bin komm ich statt mit 1.800 EUR Jahreskosten auf nur 1.600 EUR Jahreskosten. 200 EUR Jahreskosten durch 12 ist zwar nicht der Bazen, aber doch wieder das eine oder andere was man wegzahlen kann oder sogar auf die Seite legen kann.
Und ich werde auch immer wieder gefragt wie sich das alles ausgehen kann und wie man damit leben kann. Es geht – fragt nicht wie – aber es geht und man gewöhnt sich daran.
Und irgendwann – ja dann hab ich meinen Polster und fühl mich pudelwohl – und wenns erst in der Pension ist.
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Hmmm. Egal wie es letztendlich ausgeht. Du hast Dir mit Deiner Selbstständigkeit einen Traum erfüllt. Du machst das was Du kannst und Du bist Dein eigener Herr. Ich denke, dass man davor jede Menge Respekt haben sollte!
Das Problem sehe ich darin, wie abhängig man von seinen Kunden ist. Geraten die Kunden in Zahlungsschwierigkeiten und passiert das bei mehreren, kann sich das sehr schnell auf einen selber auswiken, ohne dass man da eigentlich mit drin hängt, außer dass man sich selber den Traum der Selbstständigkeit erfüllt hat.
Viele Grüße& weiterhin viel Erfolg!
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Würde mich freuen, wenn Du hier weiterhin über Deine Erfahrungen posten würdest!
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Auch ich sage Danke zu Deinem offenen ehrlichen Bericht. Wie es letztendlich ausgehen wird, lässt sich sowieso nie vorher sagen. Ich hoffe aber, Du hältst durch. Du hast zumindest die Chance ergriffen und bist das Risiko eingegangen. Bzw. finanziell gesehen ist es nicht wirklich ein Risiko, wenn man "nur" seine Arbeitskraft investiert und sich während der Selbständigkeit nicht verschuldet, denn notfalls kannst Du ja jederzeit wieder zum Arbeitsamt(?) und wärst Du ja sowieso schon, wenn Du diesen Schritt in die Selbständigkeit nicht gewagt hättest (so habe ich das zumindest verstanden). Natürlich muss man aber trotzdem jede Menge Kraft, Eigeniniative etc. investieren – weitaus mehr als wenn man eine neue (feste) Stelle antritt.
Ich wünsche Dir weiterhin Glück und Erfolg!
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@Ostsee-Freak
Naja so einfach ist das nicht5 wenn es mit der Selbstständigkeit nicht mehr funktioniert. Denn als normaler Arbeitnehmer bist Du arbeitslosen versichert – als Selbstständiger bist Du das nicht!
Also da ist nix mit stempeln gehen – da ist es nur sehr gesund, wenn Du gleich wieder eine Arbeit hast.
Da sich jetzt im März und Anfang April wieder einiges getan hat, werde ich den Teil weiter schreiben.
Findet scheinbar Trost und Hilfe für so manch einen und für mich auch
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[...] Leute, Ich hatte ja im November vergangenen Jahres einen Artikel geschrieben über "Selbstständigkeit oder die Flucht aus der Langzeitarbeitslosigkeit". Einige Kommentare wurden ja bereits abgegeben dazu und ich muß sagen, ich hätte [...]
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Ich finde es toll zu lesen wies Leuten in der Selbstständigkeit geht. Mein Traum ist es auch mein "eigenes Ding" zu tun. War viel unterwegs in der Welt und war nie lange wo angestellt, aus dem Grund weil es mir schwer fällt mich unterzuordnen. Ich war in meinen letzten Job in einer leitenden Funktion und jetzt wo ich ein Kind hab, will mich keiner mehr einstellen. Habe eine kaufmännische Ausbildung und viel Erfahrung im Einzelhandel europaweit. Jetzt bin ich wieder seit Dezember 2009 wieder arbeitslos.
Nun hab ich von diesem Unternehmungsgründung vom AMS erfahren und überlege mir ersthaft endlich diesen Schritt zu wagen. Hab ihr noch einige Tips für mich??
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Hi Sandra,
Das Unternehmergründungsprogramm musste ich selbst auch machen – ist sogar hilfreicher als eine der "guten" und "sinnvollen" Umschulungen vom AMS zu machen – wirst am Ende umgeschult zum Tauchlerer für Fische.
Du willst also den Schritt wagen? Hast Du schon ein Konzept was Du machen willst und hast Du Dir dazu den vorhandenen Markt schon etwas angesehen – Konkurenz, Bedarf …? Und ganz wichtig – das war bei mir nämlich nicht der Fall – schau, dass Du etwas Geld auf der hohen Kante hast. Ich weiß es ist pervers von Geld zu reden wo Du mit einem Kind und den Zuschüssen vom Papa Staat unheimlich große Sprünge machen kannst **Ironie**
Das Geld würde Dir aber zumindest helfen die Ersten paar Monate durchzuhalten, wenn es mit den Zahlungseingängen nicht so astrein läuft.
Und nicht vergessen – wenn Du in der Arbeitslosigkeit bis, darfst Du nur einen bestimmten Freibetrag dazuverdienen – ich glaub das sind so um die EUR 350,-
Sonst fällst Du um den Anspruch der Arbeitslosenunterstützung.
Die Anmeldung des Gewerbes und die Anmeldung bei der SVA gehen sehr schnell! Das hat mich selber positiv überrascht.
Auch wirst Du mit einer Mitgliedschaft bei der WKO zwangsbeglückt – aber das ist nur ein Jahresbeitrag den Du dann leisten darfs
Ich habe noch 2 Dokumente bei mir abgespeichert aus 2004 vom UP – wennst willst kann ich Dir die gerne zusenden per Mail.
Wenn die Mailadresse Vorname.Nachname [at] hotmail.com richtig ist
Das eine Dokument ist "Anleitung zur Bedienung des Planungs- und Kalkulationsprogramms" (WORD) und das 2. ist dann das dazugehörige EXCEL-Sheet.
Und was ich Dir noch anbieten kann ist das auszuarbeitende Firmenkonzept – wird heute sicher auch noch verlangt vom UP.
Da kannst dann schauen wie das Aufgebaut sein sollte.
In diesem Sinne
lg. aus Niederösterreich
Werner
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Ich muss sagen, dass ich fast die selben Erfahrungen gemacht habe und zwar betreibe ich einfach mehrere Seiten, auf denen ich entweder durch Werbung oder durch den Verkauf von Waren Geld verdiene und damit sehr gut leben kann. Im ersten Jahr lief alles gut und ich musste wenig Steuern zahlen. Im zweiten Jahr wurde meine Seite in Google bestraft und ich hatte ca 1 Jahr lang fast keine Besucher und somit auch fast keine Einnahmen. Die Steuern und die Krankenkasse musste ich dennoch bezahlen und wenn man sowas nicht gewohnt ist, dann kann das ziemlich eng werden. Zum Glück habe ich dann im 3. Jahr mehrere neue Seiten aufgemacht, die schnell Gewinn abgeworfen haben und kann nun wieder sehr gut von den Einnahmen leben. Die Steuerbürokratie sollte trotzdem etwas am System ändern.
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Hi Anatoli,
Und genau das was Du ebenfalls angesprochen hast übersehen manche (sorry) "Möchtegernselbstständigen" – Das Finanzamt und die SVA wollen dennoch Ihren Anteil und zwar das was im Vorjahr eingenommen wurde. Egal ob Du in diesem Jahr weniger oder sogar ganz wenig verdienst. Und da wirds drotz der Möglichkeit einer teilzahlung sehr schnell ganz eng.
Ganz zu schweigen von dieser Vorauszahlung die ab dem 3. Jahr fällig wird.
Aber es redet sich immer so leicht – der Staat soll was ändern.
Was zum Beispiel???
Was soll geändert werden, damit dennoch alle gleich behandelt werden können (sollte es das überhaupt noch geben)??
lg.
Werner
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Hallo Anatoli, du hast Recht, Ich bin erst seid kurzem selbstständig und Vertreibe auch Waren im Internet und als ich beim Finanzamt war, wusten die nichtmal, was ein CMS oder WordPress ist^^. Naja du hast schon fast alles geschrieben, es geht mal rauf mal runter, aber nicht aufgeben. Ich bin jetzt auch im 2ten Jahr und verdiene kaum was
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Hallo Leute, das stimmt ja alles, jeder hat hier und da seine Schwierigkeiten, auch ich habe mal Verluste mal Gewinn, wenn es beim Gewinn bleibt ok, aber wenns die Verlustzeit ist, interessiert es wirklich keinen, wie du damit zurecht kommst, aber wenn mal jemand Arbeitslosengeld braucht (siehe Arno Dübel, der frechste Arbeitslose Deutschlands), da wird trotzdem geholfen. Naja ihr versteht bestimmt, was ich meine. Ich denke, eine Fliege kann gegen einen Elefanten nichts anrichten, so wie wir.
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Wow man, hab zuerst die Kommentare gelesen und geantwortet, aber jetzt deinen Text komplett, echt klasse hast du den zusammengestellt, das nenn ich mal gute worte.
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[...] ich weiß, selber schuld! Was muß ich mich auch selbstständig machen – aber das Thema hatten wir schon mal.In der Zwischenzeit habe ich schon mehrere Mails erhalten, wann ich den [...]
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